Call for Abstracts für die DGfE-BNE-Kommissionstagung 2024
„Spannungsfelder von Bildung für nachhaltige Entwicklung und die zunehmende Ausdifferenzierung des Feldes“
vom 18.09. bis 20.09.2024
an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg
CfA als PDF in deutsch: CfA_DGfE-BNE-Kommissiontagung_2024
CfA as a PDF in english: CfA_GERA_Annual Conference ESD_2024
Der wissenschaftliche Diskurs um Bildung für nachhaltige Entwicklung ist stets eingebettet in gesellschaftliche Dynamiken und Entwicklungen. In Zeiten von konfliktbeladenen politischen Debatten, der zunehmenden Annäherung an planetare Kipppunkte, rasanten technologischen Entwicklungen, einer zunehmenden Verschärfung sozialer Ungleichheiten, kriegerischen Auseinandersetzungen, stereotypisierenden Zuschreibungen, Lehrkräftemangel, vereinfachenden Antworten auf komplexe Probleme unserer Zeit (um nur einige zu nennen) bedarf es Möglichkeiten einer systematischen Reflexion von Forschungs- und Theorieansätzen im Forschungsfeld: Wo stehen wir im Diskurs um BNE in theoretischer, praktischer und empirischer Hinsicht? Was sind übergreifende Herausforderungen und wie bezieht sich BNE-Forschung auf diese Herausforderungen?
Mit der diesjährigen Kommissionstagung möchten wir bestehende Diskurse im Kontext von BNE aufgreifen und nach aktuellen Herausforderungen für das Forschungsfeld sowie Kontroversen innerhalb des Forschungsdiskurses fragen. Wir tun dies vor dem Hintergrund, dass das BNE-Feld sich in den letzten Jahren stark ausdifferenziert hat (siehe hierzu z.B. bibliometrische Analysen zum Forschungsfeld Hallinger & Nguyen, 2020; Wright & Pullen, 2007) und Einzug in zahlreiche Diskurse gefunden hat. So wird BNE in zahlreichen Fachdidaktiken sowie in verschiedenen Bereichen, wie beispielsweise der Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) (z.B. Rebmann & Schlömer, 2020), der Lehrkräftebildung für nachhaltige Entwicklung (LBNE) (z.B. Fischer et al., 2022), der Hochschulbildung (z.B. Rieckmann et al., 2021), der Erwachsenenbildung (z.B. Schreiber-Barsch & Mauch, 2019), der Frühpädagogik (z.B. Hedefalk et al., 2015), aber auch im Horizont von groß angelegten Bildungsstudien, diskutiert und verhandelt (z.B. Costa et al.,2024; Costa & Taube, 2024). Gleichzeitig lassen sich die Anfänge des verhältnismäßig jungen, aber schnell wachsenden Forschungsfeldes auf unterschiedliche Traditionen verschiedener pädagogischer Diskursfelder, wie z.B. dem des Globalen Lernens oder dem der Umweltbildung zurückverfolgen. Diese Verwurzelung in unterschiedlichen Traditionen und Diskurslinien sowie die Ausdifferenzierung des Forschungsfeldes birgt sowohl Potenziale als auch Herausforderungen für Theoriebildung und empirische Forschung im Feld.
Wir nehmen die zunehmende Ausdifferenzierung der Forschungslandschaft zum Anlass, um im Rahmen der diesjährigen Tagung zu fragen: Wie wird in diesem facettenreichen, vielschichtigen und zunehmend ausdifferenzierten Feld Forschung und Theoriebildung, unter Berücksichtigung von und aufbauend auf bereits existierende Erkenntnissen, möglich? In welchen Spannungsfeldern bewegt sich Forschung im Kontext von BNE?
Diese metareflexive Betrachtung des Feldes erscheint insbesondere deshalb notwendig, weil sich die Forschung zum Themenfeld zwingend in Spannungsfeldern bewegt, die sich auch als Aporien konzeptualisieren lassen (vgl. Kminek, 2023). So müssen sich Diskurse über nachhaltige Entwicklung grundsätzlich durch eine gewisse Offenheit auszeichnen, um der Unvorhersehbarkeit der Zukunft Rechnung zu tragen und künftigen Generationen Gestaltungsspielräume zu eröffnen. Gleichzeitig bedarf es der Schließung, um konkrete Zielperspektiven zu formulieren, Handlungsoptionen beschreibbar zu machen und letztendlich auch deren (Nicht-) Erreichung zu evaluieren (vgl. ebd.). Auch wissenschaftliche Wissensproduktion ist einerseits auf Setzungen angewiesen, andererseits läuft jede Setzung Gefahr, Engführungen zu produzieren, Wissensbestände auszuklammern und diskursive Schließungen hervorzurufen, wie etwa die Diskussion um postkoloniale Perspektiven zeigt (z.B. Eberth & Röll, 2021; allgemeiner: Hamborg, 2017).
Forschung im BNE-Feld zeichnet sich dabei insgesamt durch eine hohe faktische und ethische Komplexität aus (vgl. z.B. Bögeholz & Barkmann, 2005). Eine Reduktion der Komplexität wird allerdings notwendig, wenn Gegenstände operationalisiert werden, beispielsweise um die Kompetenzentwicklungen von Schüler:innen zu erforschen oder Bildungsangebote für Erwachsene zu evaluieren. Jede Operationalisierung von Kompetenzfacetten und die damit einhergehende Komplexitätsreduktion läuft allerdings wiederum Gefahr, bestimmte Perspektiven auszublenden und vereinfachende Sichtweisen auf BNE zu reproduzieren (siehe im Kontext der Operationalisierung der Global Competences z.B. Costa et al., 2024; Ress et al., 2022; Sälzer & Roczen, 2018). In der konkreten Bildungspraxis erfordern entsprechend komplexe und miteinander verflochtenen Themen eine didaktische Reduktion und eine Auswahl von Themen, um die Welt, in Anlehnung an das Prinzip der Exemplarität, am Beispiel zu erschließen. Doch welche Beispiele eignen sich, um „das Verständnis mehr oder minder verallgemeinerbarer Prinzipien“ (Klafki, 2007, S. 67) von nachhaltigkeitsbezogenen Themen und Inhalten zu erfahren? Und welche Themen und Methoden werden von Lehrenden tatsächlich ausgewählt? Empirisch deutet sich hier an, dass Lehrkräfte den Umgang mit Komplexität auf unterschiedliche Weise ausgestalten (vgl. Taube, 2022).
Man könnte meinen, es wären ausreichend Herausforderungen benannt, um ein reichhaltiges Tagungsprogramm zu skizzieren, aber es entfalten sich weitere Spannungsfelder, wenn Forschung, wie es im Kontext von BNE häufig der Fall ist, als transdisziplinäre oder transformative Forschung konzipiert wird (vgl. z.B. Blank et al., 2023; Fischer et al., 2016; Schneidewind & Singer-Brodowski, 2015). Während Forschung einerseits eine kritische Distanz zum Gegenstand voraussetzt, werden Forschende im Kontext transdisziplinärer Forschungsprozesse andererseits selbst zum Teil des Transformations- und Veränderungsprozesses (z.B. Singer-Brodowski, 2023; Von Seggern et al., 2023). Wie ist in diesem Zusammenhang eine kritisch-reflexive Distanz bei gleichzeitiger Involviertheit möglich? Auch die immer wieder diskutierten und neu aufgeworfenen Fragen nach der normativen Dimension von BNE bleiben weiterhin aktuell und werden im Zuge der Ausdifferenzierung des Feldes und neuer gesellschaftlicher Herausforderungen wie theoretischer Perspektiven neu gestellt (vgl. z.B. Tryggvason et al., 2023). Was zeichnet eine theoriegestützte, kritische Perspektivierung normativer Prämissen aus? Wie dimensionieren sich aktuelle Forschungsansätze im Feld zwischen instrumentellen BNE-Ansätzen (Bildung für nachhaltige Entwicklung) und emanzipatorischen Zugängen (Bildung als nachhaltige Entwicklung) (vgl. z.B. Vare & Scott, 2007)?
Diese Fragen (und noch viele mehr) tangieren längst nicht mehr nur kleine Forschungsgruppen, sondern sind anschlussfähig für ein breites Forschungsfeld mit vielfältigen Zugängen und Perspektiven. Wir laden Wissenschaftler:innen aus verschiedenen erziehungswissenschaftlichen (Teil-)Disziplinen ein, ihre konkreten Forschungsprojekte vorzustellen und dabei ihre Perspektiven auf das Feld, unterschiedliche Zugänge und Verortungen zu präsentieren und sichtbar zu machen. Dabei ermutigen wir besonders auch Nachwuchswissenschaftler:innen zur Beitragseinreichung!
Für die Tagung können Beiträge zu unterschiedlichen Formaten eingereicht werden:
- Für die Präsentation von Einzelbeiträgen können Abstracts im Umfang von bis zu 2.500 Zeichen (inkl. Leerzeichen, exklusive Literaturangaben) zu BNE-bezogenen Forschungsprojekten mit dem Fokus auf das Tagungsthema eingereicht werden.
- Neben Einzelbeiträgen ist das Einreichen von Arbeitsgruppen möglich. Arbeitsgruppen sollten aus zwei bis drei auf eine gemeinsame Fragestellung hin ausgerichteten Beiträgen bestehen. Ein Konzeptpapier für die geplante Arbeitsgruppe, in dem auch die Einzelbeiträge skizziert sind, sollte den Umfang von bis zu 5.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen, exklusive Literaturangaben) nicht übersteigen.
- Zusätzlich zu den klassischen Formaten ist die Einreichung von Diskussionsforen möglich. Diese Diskussionsformate können sich auf spezifische Spannungsfelder, Vernetzungsbedarfe und Herausforderungen im Feld beziehen und/oder auf spezifische Teilbereiche bzw. Forschungsfelder fokussiert sein. Auch für den Vorschlag eines Diskussionsformats ist die Einreichung eines Konzeptpapiers im Umfang von 2.500 Zeichen (inkl. Leerzeichen, exklusive Literaturangaben), in welchem die grundlegende Intention, die mit dem Diskussionsforum markierten Diskussionsbedarfe sowie die geplante Diskussionsgestaltung skizziert werden, notwendig.
Die Abstracts sollten Angaben zu den Autor*innen (Name, Institution, Forschungsschwerpunkte) enthalten und bis zum 15.04.2024 unter der folgenden E-Mail-Adresse eingesendet werden: jana.costa@lifbi.de.
Im Anschluss an die Hauptkonferenz findet am Nachmittag des 20.09.2024 (in Kooperation mit Prof. Dr. Ingrid Hemmer) ein Vernetzungstreffen zu BNE in der Lehrerbildung statt, zu dem Sie alle herzlich eingeladen sind (weitere Informationen folgen)!
Literaturverzeichnis
Blank, J., Bergmüller-Hauptmann, C., & Sälzle, S. (Hrsg.). (2023). Transformationsanspruch in Forschung und Bildung: Konzepte, Projekte, empirische Perspektiven. Waxmann. https://doi.org/10.31244/9783830996774
Bögeholz, S., & Barkmann, J. (2005). Rational choice and beyond: Handlungsorientierende Kompetenzen für den Umgang mit faktischer und ethischer Komplexität. In R. Klee, A. Sandmann, & H. Vogt (Hrsg.), Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik. (S. 211–224). Studienverl.
Costa, J., Alscher, P., & Thums, K. (2024, i.E.). Global competences and education for sustainable development. A bibliometric analysis to situate the OECD global competences in the scientific discourse. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. https://doi.org/10.1007/s11618-024-01220-z
Costa, J., & Taube, D. (2024, i.E.). Bestehende Daten in der Forschung zu Bildung für nachhaltige Entwicklung neu entdecken: Qualitativ-rekonstruktive Befunde als theoriegeleitete Such- und Strukturierungsperspektive für die Reanalyse von Datensätzen. In Bildung für eine nachhaltige Entwicklung im Umbruch?: Beiträge zur Theorieentwicklung angesichts ökologischer, gesellschaftlicher und individueller Umbrüche. Barbara Budrich.
Eberth, A., & Röll, V. (2021). Eurozentrismus dekonstruieren. Zur Bedeutung postkolonialer Perspektiven auf schulische und außerschulische Bildungsangebote. ZEP – Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 2021(2), 27–34. https://doi.org/10.31244/zep.2021.02.05
Im Anschluss an die Hauptkonferenz findet am Nachmittag des 20.09.2024 (in Kooperation mit Prof. Dr. Ingrid Hemmer) ein Vernetzungstreffen zu BNE in der Lehrerbildung statt, zu dem Sie alle herzlich eingeladen sind (weitere Informationen folgen)!
Fischer, D., Grunenberg, H., Mader, C., & Michelsen, G. (2016). Transdisziplinäre Bildungsforschung für nachhaltige Entwicklung. In W. Leal Filho (Hrsg.), Forschung für Nachhaltigkeit an deutschen Hochschulen (S. 25–42). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10546-4_2
Fischer, D., King, J., Rieckmann, M., Barth, M., Büssing, A., Hemmer, I., & Lindau-Bank, D. (2022). Teacher Education for Sustainable Development: A Review of an Emerging Research Field. Journal of Teacher Education, 73(5), 509–524. https://doi.org/10.1177/00224871221105784
Hallinger, P., & Nguyen, V.-T. (2020). Mapping the Landscape and Structure of Research on Education for Sustainable Development: A Bibliometric Review. Sustainability, 12(5), 1947. https://doi.org/10.3390/su12051947
Hamborg, S. (2017). ‚Wo Licht ist, ist auch Schatten‘—Kritische Perspektiven auf Bildung für nachhaltige Entwicklung und die BNE-Forschung im deutschsprachigen Raum. In M. Brodowski (Hrsg.), Bildung für nachhaltige Entwicklung: Interdisziplinäre Perspektiven. Logos Verlag Berlin.
Hedefalk, M., Almqvist, J., & Östman, L. (2015). Education for sustainable development in early childhood education: A review of the research literature. Environmental Education Research, 21(7), 975–990. https://doi.org/10.1080/13504622.2014.971716
Klafki, W. (2007). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik: Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik (6. Auflage). Beltz Verlag.
Kminek, H. (2023). Education for Sustainable Development – An Aporetic Approach. ZEP – Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 2023(2), 14–18. https://doi.org/10.31244/zep.2023.02.04
Künzli David, C., Bertschy, F., & Di Giulio, A. (2010). Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung im Vergleich mit Globalem Lernen und Umweltbildung. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 32(2), 213–231.
Rebmann, K., & Schlömer, T. (2020). Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung. In R. Arnold, A. Lipsmeier, & M. Rohs (Hrsg.), Handbuch Berufsbildung (S. 325–337). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19312-6_27
Ress, S., Timm, S., Taube, D., & Costa, J. (2022). Herstellung von Eindeutigkeit—Die Erfassung globaler Kompetenzen durch PISA 2018. https://doi.org/10.25656/01:25276
Rieckmann, M., Giesenbauer, B., Nölting, B., Potthast, T., & Schmitt, C. T. (Hrsg.). (2021). Nachhaltige Entwicklung von Hochschulen: Erkenntnisse und Perspektiven zur gesamtinstitutionellen Transformation (1. Auflage). Verlag Barbara Budrich.
Sälzer, C., & Roczen, N. (2018). Die Messung von Global Competence im Rahmen von PISA 2018. Herausforderungen und mögliche Ansätze zur Erfassung eines komplexen Konstrukts. https://doi.org/10.25656/01:15520
Schneidewind, U., & Singer-Brodowski, M. (2015). Vom experimentellen Lernen zum transformativen Experimentieren: Reallabore als Katalysator für eine lernende Gesellschaft auf dem Weg zu einer Nachhaltigen Entwicklung. Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 16(1), 10–23. https://doi.org/10.5771/1439-880X-2015-1-10
Schreiber-Barsch, S., & Mauch, W. (2019). Adult learning and education as a response to global challenges: Fostering agents of social transformation and sustainability. International Review of Education, 65(4), 515–536. https://doi.org/10.1007/s11159-019-09781-6
Singer-Brodowski, M. (2023). Zur Kultivierung von Reflexivität als Strategie des Umgangs mit
Dilemmata in der transformativen Nachhaltigkeitsforschung – lerntheoretische Überlegungen. In A. Henkel, S. Berg, M. Bergmann, H. Gruber, N. C. Karafyllis, D. Mader, A.-K. Müller, B. Siebenhüner, K. Speck, & D.-P. Zorn (Hrsg.), Dilemmata der Nachhaltigkeit (1. Auflage). Nomos.
Taube, D. (2022). Globalität lehren: Eine empirische Studie zu den handlungsleitenden Orientierungen von Lehrkräften. Waxmann.
Tryggvason, Á., Öhman, J., & Van Poeck, K. (2023). Pluralistic environmental and sustainability education – a scholarly review. Environmental Education Research, 29(10), 1460–1485. https://doi.org/10.1080/13504622.2023.2229076
Vare, P., & Scott, W. (2007). Learning for a Change: Exploring the Relationship Between Education and Sustainable Development. Journal of Education for Sustainable Development, 1(2), 191–198. https://doi.org/10.1177/097340820700100209
Von Seggern, J., Holst, J., & Singer-Brodowski, M. (2023). The self in the mirror: Fostering researchers’ reflexivity in transdisciplinary and transformative studies at the science-policy interface. Ecology and Society, 28(2), art17. https://doi.org/10.5751/ES-14057-280217
Wright, T., & Pullen, S. (2007). Examining the Literature: A Bibliometric Study of ESD Journal Articles in the Education Resources Information Center Database. Journal of Education for Sustainable Development, 1(1), 77–90. https://doi.org/10.1177/097340820700100114